Reinkarnation

Der scheinbar endlose Kreislauf von Geburt und Tod und wie man ihn überwindet

Haben wir in der Vergangenheit schon einmal oder gar mehrmals gelebt? Der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe meinte dazu, mehrmals zu leben sei nicht verwunderlicher, als einmal zu leben. Im Jänner 1813 schrieb er an Johann Daniel Falk: „Ich bin gewiss, wie Sie mich hier sehen, schon tausendmal dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen.“ Die Bhagavad-gita, das zentrale Werk der vedischen Philosophie, gibt ihm Recht. Das Leben ist keine materielle Angelegenheit. Es ist vielmehr Ausdruck der spirituellen Energie Krishnas, die jenseits der Begrenzung von Raum und Zeit existiert.

Das Thema der Reinkarnation, das sich durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht, kann aus den verschiedensten Perspektiven betrachtet werden. Seit dem 20. Jahrhundert hat sich eine empirische Reinkarnationsforschung etabliert, die viel zur Diskussion dieses Phänomens beigetragen hat. Wir wollen uns in diesem Artikel aber vor allem auf die philosophische und spirituelle Dimension beziehen. Philosophie in ihrer reinen und unverfälschten Form beruht auf reinem logischen Denken, das frei von Voreingenommenheit ist. Vor diesem Hintergrund betrachtet wird die Reinkarnation der unsterblichen individuellen Seele zu einer unleugbaren Tatsache. 

 

Reinkarnationsforschung: Philosophie, Logik und Empirie

Der Psychiater und Reinkarnationsforscher Ian Stevenson untersuchte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts über tausend Kinder im Alter zwischen zwei und sieben Jahren, die sich an Begebenheiten aus ihren vergangenen Leben erinnerten. Seine Forschungen liefern mannigfaltige Hinweise für die Existenz der Reinkarnation. Dennoch sind seine Arbeiten und Ergebnisse umstritten, obwohl sie allen Kriterien strenger Wissenschaftlichkeit genügen. Eine Wissenschaft, die ihre Forschungen und Argumente auf Materie beschränkt, setzt sich freiwillig Scheuklappen auf. Sie kann trotz unzähliger empirischer Hinweise und philosophischer Beweise nicht anerkennen, was den beschränkten Rahmen ihres eigenen Wirklichkeitsverständnisses sprengen würde.

Das Wort Reinkarnation stellt die Substantivierung dreier lateinischer Wörter dar (re – wieder; in – in;  carne – Fleisch) und bedeutet wörtlich „wieder in das Fleisch“,  was sich auf die erneute Annahme eines materiellen Körpers bezieht. In der Bhagavad-gita erklärt der Höchste Wissenschaftler, die Höchste Persönlichkeit Gottes, das Wesen der Reinkarnation selbst. Krishna ist die ursprüngliche  Quelle allen Wissens, und alles, was Er sagt, ist richtig und zutreffend. Das wird der deduktive Pfad des Wissenserwerbs genannt. Jemand, der über etwas Bescheid weiß, gibt sein Wissen an seinen Schüler weiter. Das bedeutet aber nicht, dass Logik und Verstand zu kurz kämen. Tatsächlich erklärte Krishna Seinem Schüler Arjuna das Thema der Reinkarnation auf der Grundlage vollkommener Logik, die in einer echten Wissensübertragung von Meister zu Schüler bereits vollständig inkludiert ist.

 

Leben kommt von Leben

Leben kommt von Leben, lautet eine der Kernaussagen vedischer Wissenschaft. Es ist nicht möglich, Leben auf der Grundlage materieller (physikalischer / chemischer) Wechselwirkungen zu produzieren. Zweifellos ist es möglich, auf diese Weise Lebenssymptome nachzuahmen, tatsächlich aber sind Lebenssymptome und das Leben selbst zwei völlig verschiedene Dinge. Leben bedeutet bewusste Wahrnehmung, wobei die Betonung auf „bewusst“ liegt. Ein Lebewesen kann im Gegensatz zu einem noch so evolvierten Roboter sowohl sich selbst als auch seine Umgebung bewusst wahrnehmen. Bewusste Wahrnehmung bezieht sich auf ein subjektives Erleben, dass ein Lebewesen grundsätzlich von einer durch künstliche Intelligenz gesteuerten Maschine unterscheidet, der diese Erlebnisqualität zur Gänze fehlt.

Für den Aufenthalt in der materiellen Welt wird der spirituellen Seele ein geeigneter materieller Körper zur Verfügung gestellt, mit dem es hier leben und handeln kann. Krishna erklärt Arjuna, dass im Gegensatz zur individuellen Seele, die ewig existiert, der materielle Körper vergänglich ist. Einer der zentralen Verse der Bhagavad-gita lautet: „So wie die verkörperte Seele fortwährend in diesem Körper von Kindheit  zu Jugend und zu Alter wandert, so geht sie beim Tod in einen anderen Körper ein. Die selbstverwirklichte  Seele wird von einem solchen Wechsel nicht verwirrt.“ (Bhagavad-gita 2.14)

Wir können aus diesem Vers erkennen, dass der Vorgang der Reinkarnation schon zu Lebzeiten stattfindet. Obwohl unser Kinderkörper längst der Vergangenheit angehört, können wir uns noch an ihn erinnern. Unsere Körper, Gedanken und Einstellungen mögen sich ändern, aber das sich erinnernde „ich“ bleibt immer dasselbe.

Ein materieller Körper mag eine sehr lange Lebensdauer haben, wie etwa die Körper der Devas, der Halbgötter auf den höheren Planetensystemen, aber selbst diese Körper sind vergänglich. Für den materiellen Körper sind Alter und Tod natürliche Erscheinungen. Sie sind das Ergebnis egoistischer Handlungen, die ein Grundmerkmal der materiellen Welt bilden. Das wird Karma genannt.

 

Aus dem Kreislauf von Leben und Tod in das ewige Leben

Das ursprüngliche Wesen der spirituellen Seele besteht darin, dass es in Erwiderung der bedingungslosen Liebe Krishnas ebenfalls in bedingungsloser Liebe handelt. Wenn ein Lebewesen aber unter dem Einfluss von aham mama, ich und mein, mit anderen Lebewesen in Konkurrenz tritt und auf diese Weise ums Überleben kämpft, kommt es in seiner Psyche unweigerlich zu Spannungen und Blockaden, die sich destruktiv auf den physischen Körper auswirken und letztlich zum Tod des Körper führen. Deshalb sieht man im Allgemeinen, dass Menschen, die ein einfaches, ausgeglichenes und tugendhaftes Leben führen, meist ein höheres Alter – und das bei besserer Gesundheit – erreichen, als Menschen, die sich zu sehr von den Wogen der Leidenschaft hinwegreißen lassen.

Welchen Körper ein Mensch im nächsten Körper erlangt, wird vom Bewusstsein bestimmt, das er während des gegenwärtigen Lebens entwickelt. Das wiederum hängt von der Qualität seiner physischen und psychischen Handlungen ab. Jede Handlung, ob feinstofflich (Denken, Fühlen und Wollen) oder grobstofflich, prägt unsere Mentalität, die uns umgibt, wie der Duft einer Blume die Blume umgibt. Dieser Bewusstseinszustand führt den feinstofflichen Körper aus Geist, Intelligenz und Ego nach Verlassen des Körpers unter der Aufsicht der materiellen Natur auf der Grundlage des Resonanzgesetzes zu einem entsprechenden neuen Körper. Auf diese Weise wandert das spirituelle Lebewesen von einem Körper zum anderen durch das ganze Universum. Manchmal nimmt es den Körper eines Menschen an, manchmal den eines Halbgottes, eines Tieres oder einer Pflanze. Die so verkörperte Seele wird nitya-baddha, ewig gefangen, genannt, weil es ihr aus eigener Kraft unmöglich ist, diesen ewigen Kreislauf zu überwinden.

In der menschlichen Lebensform wird der Seele aber die Gelegenheit geboten, sich aufgrund seiner entwickelten Intelligenz seiner unnatürlichen zeitweiligen Lage bewusst zu werden. Wenn der Mensch erkennt, dass er hilflos den Wogen der materiellen Natur ausgeliefert ist, wird er offen für höheres Wissen, das ihm den Weg aus dieser Verstrickung in den ewigen Kreislauf aus Geburt und Tod zeigt. Schicksal und freier Wille gehen dabei Hand in Hand. Obwohl unser Lebensweg auf der Grundlage der Qualität unseres gegenwärtigen Bewusstseins bereits vorgeben ist, haben wir immer die Möglichkeit, uns für das Angebot Krishnas in Form Seiner Unterweisungen, die uns durch seine Geweihten überbracht werden, zu entscheiden und auf diese Weise unsere Freiheit in einem ewigen Leben wiederzuerlangen.

Insbesondere für dieses schwierige Zeitalter (Kali-Yuga) hat es Krishna besonders einfach gemacht. Einfach durch das Chanten der heiligen Namen Gottes in Form des Maha-Mantras, des großen Mantras der Befreiung, können wir von allen materiellen Belastungen und Designationen frei werden und in das ewige Reich Krishnas zurückkehren. Darin liegt die einzigartige Bedeutung des menschlichen Lebens.